Anni Wadle (1909 - 2002)

Anni Wadle, geborene Kreuzer, geboren am 18. Juli 1909 in Itzehoe, wuchs in einem sozialdemokratischen Umfeld auf; der Vater war Steinmetz. 1914 verzog die Familie wegen besserer Arbeitsmöglichkeiten nach Kiel. Tochter Anni war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt. Sie hatte vier Brüder. Es waren Notzeiten damals, so dass die Kreuzer-Kinder bereits während ihrer Schulzeit mit „Laufstellen“ etwas zum Familienunterhalt beitragen mussten.

Von 1916 bis 1923 besuchte Anni Kreuzer die Volksschule; im April 1924 erhielt sie im Alter von 14 Jahren die proletarische Jugendweihe. Noch im selben Jahr schloss sie sich dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) an. Da im Anschluss an die Schulzeit an eine Berufsausbildung nicht zu denken war, arbeitete sie, um Geld zu verdienen, bis 1929 in verschiedenen Anstellungen als Haus- und Kindermädchen. Während dieser Zeit nahm sie im KJVD bald eine aktive Rolle ein, leitete Pioniergruppen in Kiel und in Gaarden, und sie lernte hier ihren späteren Ehemann, den Kupferschmid Hein Wadle (geb. 07. Juni 1905), kennen.

Nachdem sie in Abendkursen an der Handelsschule Stenografie und Maschinenschreiben erlernt hatte, war sie ab April 1929 als Schreibkraft im Büro der KPD in der Kieler Annenstraße beschäftigt. Schon bald schrieb sie eigene Zeitungsberichte. Im Herbst 1930 wechselte sie nach Hamburg, um bei der kommunistischen „Hamburger Volkszeitung“ ein Redaktionsvolontariat zu beginnen. Zuvor hatten sie und Hein Wadle sich im Frühjahr 1930 verlobt.

Zur Hamburger Volkszeitung gehörte die Schleswig-Holstein-Ausgabe „Norddeutsche Zeitung“. In den Jahren 1931/32 bearbeitete sie diese Ausgabe sowie die Frauen- und Jugendseiten der Hamburger Ausgabe. Das Blatt war wegen seiner Agitationen bereits mehrere Male befristet verboten worden. Da sie als verantwortliche Redakteurin fungierte, wurde sie mehrfach u.a. wegen „Beleidigung durch die Presse“ zu Geldstrafen verurteilt. Diese Geldstrafen konnten regelmäßig nicht bezahlt werden und wurden deshalb in Haftstrafen umgewandelt. Damit war sie vorbestraft.

Ende 1932 begann man in Kiel die illegale KPD-Zeitschrift „Die Arbeiterwelt“ aufzubauen. Auch an dieser Arbeit war die inzwischen 23-Jährige tatkräftig beteiligt, wurde in diesem Zusammenhang festgenommen, verurteilt und saß von Oktober bis Jahresende 1932 in Haft.

In Hamburg lebte sie bei Verwandten und bei Parteifreunden, und zwar auch während der Zeit ihrer illegalen Tätigkeit nach der Machtübernahme durch die Nazis am 30. Januar 1933 und dem nachfolgenden Verbot der KPD und der Zeitung. Im Juli 1933 fand sie eine dauerhafte illegale Unterkunft durch eine Untermiete.

Am 13. April 1933 wurde Hein Wadle auf Grund seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Als er Weihnachten 1933 aus dem KZ Lichtenberg wieder freikam, befand sich seine Verlobte nach ihrer Verhaftung am 15. September 1933 bereits im Gewahrsam („Schutzhaft“) der Hamburger Gestapo. Man warf ihr u.a. vor, „…durch ihre Beteiligung an der Organisierung der KPD im Jahre 1933 die hochverräterischen Bestrebungen dieser Partei aktiv gefördert zu haben.“ Vor allem wollte man von ihr Namen von Mitstreitern erpressen. Sie weigerte sich, erfuhr Misshandlungen und Folterungen, und man übte Druck aus durch die Verhaftung der Eltern. Anni Kreuzer reagierte mit Hungerstreik, der die Freilassung der Mutter bewirkte; der Vater kam jedoch erst nach 15 Monaten wieder frei.

Am 10. April 1934 überstellte man sie nach siebenmonatiger „Schutzhaft“ in die Untersuchungshaft im Hamburger Frauengefängnis. Ihre Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft erfolgte am 01. November 1934 durch das Landgericht Hamburg. Zur Strafverbüßung, so berichtet Anni Wadle in ihren Erinnerungen, saß sie vom 01. November 1934 bis 18. April 1936 in der Frauenhaftanstalt Lübeck-Lauerhof ein. Dies geht aus dem Entlassungsschein vom 18. April 1936 so nicht direkt hervor. Danach befand sie sich in den Hamburgischen Gefangenenanstalten, Anstalt aa. Bekannt ist jedoch, dass während der Nazizeit in der Frauenhaftanstalt Lübeck-Lauerhof vor allem sozialdemokratische und kommunistische Widerstandskämpferinnen einsaßen. Möglicherweise verbirgt sich hinter „Anstalt aa“ die externe Unterbringung der weiblichen Häftlinge in Lübeck.

Nach Ende dieser Haftzeit erfolgte keine Freilassung, vielmehr wurde anschließend wieder „Schutzhaft“ angeordnet, und zwar zunächst für drei Monate. Tatsächlich blieb sie noch ein weiteres Jahr in Haft, kam in das Frauen- KZ Moringen (bei Göttingen) und wurde von dort erst am 02. April 1937 entlassen. Das KZ Moringen war kein Großlager und kein Vernichtungslager, dennoch eine brutal agierende Einrichtung mit dem Ziel, Menschen zu zerbrechen. Insgesamt hat sie knapp 44 Monate im Gewahrsam der Gestapo („Schutzhaft“), in Frauengefängnissen und in KZ-Haft verbringen müssen. Die Haftzeiten waren mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden, an denen sie lebenslang zu leiden hatte.

Nach ihrer Rückkehr kam sie zunächst bei den Eltern in Kiel unter. Sie fand eine Arbeit als Packerin in einer Seifenfabrik, während Hein Wadle auf der Germania-Werft beschäftigt war. Sie heirateten am 07. Juni 1938 und erhielten eine Werkswohnung in der“ Kruppschen Kolonie“ in Kiel. Am 02. November 1942 wurde der Ehemann erneut festgenommen; der Vorwurf lautete auf „Mitgliedschaft in einer illegalen, antifaschistischen Widerstandsgruppe auf der Germania-Werft Kiel“.  Er kam in Gestapohaft nach Hamburg. Als Folge der Verhaftung kündigte man ihnen die inzwischen bombengeschädigte werkseigene Wohnung zum 01. Juli 1943.

Wadles hatten bereits Anfang des Krieges ein Gartengrundstück in Einfeld erworben und begonnen, hier eine Gartenbude zu errichten. Mit Hilfe der Familie wurde in der Notsituation und mit geringen materiellen Möglichkeiten versucht, diese bewohnbar zu machen. Bis das soweit war, konnte sich Anni Wadle mit dem neuen Mieter ihrer bisherigen Wohnung arrangieren und dort zusammen mit ihrer Schwiegermutter weiterhin unterkommen. Im Mai 1943 fand sie eine neue Beschäftigung in einem Schuhgeschäft.   

Bei einem der sogenannten „Hamburger Kommunistenprozesse“ vor dem „Volksgerichtshof“ wurde Hein Wadle am 06. Mai 1944 u.a. wegen „Mitwirkung beim Aufbau kommunistischer Betriebszellen in Kiel in den Jahren 1938 – 1942“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Es erfolgte die Verlegung in das Zuchthaus Brandenburg. Neben der eigenen Not waren in den Jahren 1943/45 viele persönlichen Verluste zu verkraften: Der Vater starb im Mai 1944,  die Mutter kam am 18. Juli 1944 (an Anni Wadles 35. Geburtstag) bei einem Bombenangriff ums Leben; zwei ihrer Brüder verloren ihr Leben in Folge der Kriegsereignisse.  

Nach Kriegsende kehrte Hein Wadle im Juli 1945 zurück und fand Arbeit als Rohrschlosser auf der Howaldt-Werft. 

Politisch blieben sie weiter aktiv. Bis zum Verbot 1956 gehörten sie der KPD an. Außerdem betätigte sich der Ehemann gewerkschaftlich, insbesondere als Betriebsrat. Darüber hinaus wurden sie Mitglieder im Kieler „Komitee ehemaliger politischer Gefangener und Verfolgter zur gegenseitigen Unterstützung und Hilfe“. Solche Komitees waren sehr schnell nach Ende des Krieges entstanden; später entwickelte sich hieraus die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“/VVN, Bund der Antifaschisten“. Beide Wadles waren dieser Vereinigung und ihren Zielen bis zu ihrem Tod tief verbunden.  Zusätzlich galt ihre Sympathie der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Friedensbewegung. Sie nahmen mehrfach an Demonstrationen und Ostermärschen teil. Heute setzt der 1949 geborene Sohn Dr. Heinrich Wadle die Arbeit seiner Eltern im Bund der Antifaschisten sowie durch sein Engagement in Politik und Gesellschaft fort.

Seit 1967 lebte die Familie dauerhaft in Einfeld/Neumünster. Hier verstarb Anni Wadle am 09. April 2002 im Alter von 92 Jahren, ihr Ehemann war bereits am 14. November 1985 im Alter von 80 Jahren gestorben. Die Grabstätten befinden sich auf dem Urnenfriedhof in Kiel.

Das Leben der Anni Wadle war geprägt durch eine sehr frühe Politisierung, ihre pazifistische Grundhaltung, durch die Bereitschaft und den Mut, für ihre Überzeugungen auch bei Gefahr für Leib und Leben einzustehen sowie eigene Haftzeiten und die Haftzeiten ihres Ehemannes auszuhalten. Ihr Leben war ein kämpferischer und leidenschaftlicher Widerstand gegen Faschismus, Rassismus, Völkerfeindlichkeit und Krieg. Dieser Bericht soll die Erinnerung an eine mutige und unbeugsame Frau wachhalten.

Von der Stadt Kiel, in der Anni Wadle lange gelebt hat, ist sie durch die Veröffentlichung ihrer Lebensgeschichte sowie durch eine Straßenbenennung geehrt worden.   

Heide Winkler
März 2021

Quellennachweis

 Erste Recherchen stammen von Sighild Klamt im Zusammenhang mit der Ausstellung 2014.

  1. Die Lebensbeschreibung stützt sich überwiegend auf die schriftlichen Erinnerungen von Anni Wadle.  Anni Wadle, „Mutti, warum lachst du nie?“, Erinnerungen an Zeiten der Verfolgung und des Krieges; Hrsg. Loretta Walz, Huba Production, 1988, Verlagskontor, 4406 Drenseinfurt 1. Das Buch befindet sich im Bestand der Stadtbücherei Neumünster.
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Volkszeitung
  3. Schreiben Senat der Freien und Hansestadt Hamburg vom 19.10.1956 betr. Tätigkeit Anni Kreuzer bei der Hamburger Volkszeitung
  4. Entlassungsschein Hamburgische Gefangenenanstalten, Anstalt aa, vom 18.04.1936
  5. Vollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof: https://de.wikipedia.org/wiki/Justizvollzugsanstalt_L%C3%BCbeck ; außerdem Auszug aus Zeitschrift für Lübeckische Geschichte
  6. Schreiben Geheime Staatspolizei Hamburg vom 28.04.1936
  7. Hans Hesse, “Das Frauen KZ Moringen 1933 – 1938“, Hrsg. von der Lagergemeinschaft und KZ Gedenkstätte Moringen e.V., Hürth 2002; div. weitere Interneteinträge unter dem Stichwort „KZ Moringen“, u.a. Buchbesprechung Göttinger Tageblatt vom 07.11. 2000
  8. Kommunistenprozesse: https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%A4stlein-Jacob-Abshagen-Gruppe und weitere Interneteinträge unter diesem Stichwort
  9. shz.de/regionales/kiel/stadt-ehrt-widerstandskämpferin – Holsteinischer Courier vom 19.10.2016
  10. Landesbibliothek: Nachweise zu Anni Wadle in der Bibliografie
  11. Ergänzungen durch Dr. Heinrich Wadle