Marie Schmelzkopf (1887 – 1966)

Marie Sophie Josephine Schmelzkopf, geb. Biß, wurde am 26. Februar 1887 in Neumünster geboren. Ihre Eltern waren der Zimmermann Johann Caspar Biß (1859 - 1894) und seine Ehefrau Anna-Maria Dorothea Biß, geborene Riepen (1857 - 1949). Sie hatte sechs Geschwister, von denen nur vier das Erwachsenenalter erreichten. Da der Vater bereits in jungen Jahren verstarb, hatte die Mutter allein für die Kinder zu sorgen. Sie lebten zwar materiell in bescheidenen Verhältnissen, zugleich war es durch die Mitgliedschaft der Mutter in der Gewerkschaft ein politisch wachsames Umfeld, in dem Marie Biß aufwuchs.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich die Tochter schon als sehr junge Frau politisierte. 1908 trat sie im Alter von 21 Jahren  in die SPD ein und schloss sich gleichzeitig der Gewerkschaftsbewegung im Deutschen Lederarbeiter-Verband an. Dies waren Entscheidungen, die ihr ganzes weiteres Leben prägten.

Am 09. April 1911 heiratete sie den Dachdecker Christian Heinrich Schmelzkopf. Die Familie hatte vier Kinder, die Söhne Walter, Heinrich, Werner und die Tochter Annemarie. Bereits im Alter von 35 Jahren verstarb der Ehemann am 07. April 1920 an den Folgen der Verwundungen, die er im 1. Weltkrieg erlitten hatte. Auf Grund dieses frühen Todes musste sie, wie zuvor ihre Mutter, die Kinder allein großziehen. Um diese Zeit (1920) heiratete ihre verwitwete Mutter noch einmal und verzog nach Dänemark (Insel Seeland).

Als Beruf wird für sie in den Quellen „Arbeiterin“ angegeben. Zur Zeit des Eintritts in die SPD und in die Gewerkschaft war sie in der Lederindustrie beschäftigt, später leitete sie über viele Jahre die Werksküche bei der Fa. Sörensen & Köster, seinerzeit eine große Aluminiumfabrik im heutigen Stadtteil Brachenfeld. Die Familie lebte in der Feldstraße 8. In der Wohnung in diesem Haus ist Marie Schmelzkopf ihr ganzes Leben lang wohnen geblieben.

In welcher Form sie sich anfangs in der SPD engagiert hat, ist nicht bekannt. Ab 1922 findet sich ihr Name aber bereits in den städtischen Jahresberichten als Bürgerschaftliches Mitglied der Armenkommission und später auch des Wohlfahrtsausschusses. Bei der Kommunalwahl am 17. November 1929 wurde sie für die SPD in die Stadtverordnetenversammlung gewählt und folgte damit der nach zehn Jahren ausgeschiedenen Marie Carstens (SPD). Diese und Linny Claudius (DDP) waren 1919 nach Einführung des Frauenwahlrechts die ersten Frauen, die in dieses Gremium gewählt worden waren. In der Wahlperiode bis 1933 war Marie Schmelzkopf die einzige Frau in der Stadtverordnetenversammlung. Ihre politischen Aufgaben fand sie vor allem in der damaligen Armenkommission sowie im Wohlfahrts- und Anstaltsausschuss. Im Kreiswohlfahrtsausschuss engagierte sie sich für den nordöstlichen Stadtbereich.

Zeitgleich mit dem Beginn ihres politischen Engagements wurde sie auch gewerkschaftlich aktiv und gehörte dem örtlichen Vorstand des Lederarbeiter-Verbandes an. In dieser Eigenschaft nahm sie 1922 am 17. Verbandstag des Deutschen Lederarbeiter-Verbandes in Berlin teil. In einem Redebeitrag forderte sie, bei Tarifverhandlungen auf eine gerechtere Entlohnung der Frauen hinzuwirken. Außerdem forderte sie, Frauen verstärkt in die gewerkschaftliche Arbeit einzubinden und ihnen entsprechende Schulungen zu ermöglichen. Ihr Beitrag wurde, so das Sitzungsprotokoll, mit Beifall bedacht. 

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 erfolgte die vorzeitige Auflösung der 1929 gewählten Stadtverordnetenversammlung. Am 12. März 1933 fand eine neue Kommunalwahl statt, bei der die SPD noch einmal zehn Sitze errang; auch Marie Schmelzkopf wurde wiedergewählt. Doch die veränderten Machtverhältnisse machten es unmöglich, die politische Arbeit im Rat wiederaufzunehmen.  Den drei gewählten Vertretern der KPD verwehrten die Nazis sofort nach der Wahl den Antritt ihrer Mandate, auf die Vertreter der SPD wurde Druck ausgeübt.  

Während dieser Zeit fand am 19. Mai 1933 im sozialdemokratischen Parteilokal „Zum Reichsadler“ in der Joachimstraße ein geheimes Treffen statt. Offenbar funktionierte die Überwachung politischer Gegner bereits, denn aus der Zusammenkunft heraus wurden zehn Personen von der Gestapo vorübergehend in  sogenannte „Schutzhaft“ genommen, unter ihnen auch Marie Schmelzkopf. Mit dem im Juni 1933 folgenden Verbot der SPD endete schließlich ihr offenes politisches Engagement.   

Wie alle Gegner des Regimes wird sie in der Folgezeit unter laufender Beobachtung der Gestapo gestanden haben. So erklärt sich auch, dass sie nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verhaftet und in das Polizeigefängnis in Kiel („Blume“) eingeliefert wurde. Die Festnahme erfolgte am 22. August 1944 im Zuge einer von den Nationalsozialisten durchgeführten Racheaktion (Codewort „Gewitter“). Bei dieser Aktion wurden reichsweit Tausende als Regimegegner eingestufte Personen verhaftet, in Neumünster neben Marie Schmelzkopf mindestens vier weitere Sozialdemokraten. Einer ihrer  Enkel erinnert sich, dass seine Großmutter nach etwa vierwöchiger Haftzeit einem Transport in das KZ Ravensbrück nur deshalb entging, weil sich ihr Arbeitgeber, die o.a. Fa. Sörensen & Köster, erfolgreich für ihre Freilassung einsetzen  konnte. Die zeitgleich festgesetzten und in das KZ Neuengamme verbrachten Parteigenossen kamen alle ums Leben.

Sofort nach Ende des 2. Weltkriegs fanden im Sommer 1945 erste, zunächst noch private, Zusammenkünfte von Sozialdemokraten statt. Am 29. September 1945 bildete man einen „Vorbereitenden Ausschuss“ zur Neugründung der Partei (am 18.11.1945), dem auch Marie Schmelzkopf angehörte. Außerdem wurde sie von der britischen Militärregierung in eine erste Ratsversammlung (13.12.1945 bis 12.10.1946) und in einen ersten schleswig-holsteinischen Landtag (26.02.1946 bis 11.11.1946) berufen. Für die Entsendung in diese Gremien kamen nur Personen in Frage, die, wie Marie Schmelzkopf, während der nationalsozialistischen Zeit unbelastet geblieben waren.

Der eigentliche politische Neuanfang begann mit der ersten freien Kommunalwahl am 13. Oktober 1946. Marie Schmelzkopf wurde als Kandidatin der SPD sowohl bei dieser als auch bei der folgenden Kommunalwahl am 24.Oktober 1948 in die Ratsversammlung gewählt.

Nach nur weiteren rund eineinhalb Jahren endete dann unter unglücklichen Begleitumständen, die direkt nichts mit ihrer Person zu tun hatten, ihre politische Arbeit. Am 12. Mai 1950 trat sie zusammen mit elf weiteren Ratsmitgliedern aufgrund von Auseinandersetzungen innerhalb der SPD-Fraktion und innerhalb der Ratsversammlung zurück. Sie war zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alt.

Es passt zur Biografie dieser Frau, dass sie sich neben der Politik auch bei der Arbeiter-Wohlfahrt (AWO) einbrachte. Leider hatten Nachforschungen in Bezug auf ihren Einsatz für die AWO nur einen spärlichen belegbaren Erfolg. Erst seit 1960 wird ein Archiv geführt. Es finden sich aber Hinweise, dass sie sich aktiv für Nähstuben einsetzte, in denen Kleidung für in Not geratene Familien angefertigt wurde. Dies dürfte während und nach dem 1. Weltkrieg gewesen sein. Außerdem habe sie mehrfach Vormundschaften für elternlose Kinder übernommen. Auskunft über ihr Engagement gibt außerdem eine Unterlage, nach der sie am 17./18. Juni 1949 zur Beisitzerin in den Bezirksausschuss der Arbeiterwohlfahrt, Bezirk Schleswig-Holstein, gewählt wurde. Darüber hinaus bekleidete sie Funktionen als Vorstandsmitglied bei der AOK Neumünster (vor 1933) sowie als stellvertretendes Vorstandsmitglied bei der Landesversicherungsanstalt in Lübeck (1954 - 1958). Und sie war Mitglied im Reichsbund (heute Sozialverband).
 
Marie Schmelzkopf starb im Alter von 79 Jahren am 11. November 1966. Sie gehörte nach Marie Carstens zu den wenigen Frauen ihrer Generation und ihres sozialen Herkommens, die früh erkannten, dass sie zur Durchsetzung sozialer und gesellschaftlicher Rechte bereit sein müssen, Verantwortung zu übernehmen. Selbstbewusst folgte sie ihren Überzeugungen und richtete danach ihr politisches Handeln aus. Damit wurde sie zu einer der Wegbereiterinnen für nachfolgende Frauen in der Politik.

Die Stadt Neumünster ehrte sie mit einem dankenden Nachruf und hob ihren Einsatz für Alte, Kranke und Bedürftige hervor.

Heide Winkler
März 2021

Quellennachweis

  1. Angaben zur Familie stammen von Jörgen Schmelzkopf, in Neumünster lebender Enkel von Marie Schmelzkopf; siehe auch http://genealogie-baumann.de/bilder/familiewolter_schmelzkopf_tiedt.html
  2. Siegfried Mielke, Marie Schmelzkopf in: Siegfried Mielke/Marion Goers (Hrsg.): „Gewerkschafterinnen im NS-Staat: Verfolgung, Widerstand, Emigration“, Bd. 2, Berlin 2021; Infos in Bezug auf das gewerkschaftliches Engagement /siehe auch gesonderten Vorgang hierzu
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Schmelzkopf
  4. LIS Landesinformationssystem (Landtag 1946)
  5. SPD Geschichtswerkstatt: spd-geschichtswerkstatt.de/wiki/MarieSchmelzkopf;    Hinweise auf AWO (Nähstuben, Vormundschaften), Verhaftung 1944, AOK, Reichsbund, Gewerkschaft und Tätigkeit in Lederindustrie
  6. Jubiläumsschrift SPD 125 Jahre, S. 50, 55, 64, 65 (Wahlliste 1933, Verhaftung 1933, Neubeginn 1945)
  7. Neumünster-Buch, S. 198;  „Im Zeichen des Hakenkreuzes“, S. 168 (Verhaftung 1933)
  8. Jahresberichte Stadt Neumünster 1922, 1928, 1931, 1945, 1946, 1950
  9. Magistratsunterlagen 1950 (Rücktritt)
  10. Anzeige Holsteinischer Courier, November 1966

Anmerkung zu den Verhaftungen am 22.08.1944: die verhafteten und ermordeten Sozialdemokraten waren Max Richter, Konrad Matzke, Walter Hohnsbehn, Rudolf Henning; umgekommen in der Neustädter Bucht bzw. im KZ Neuengamme