Louise und Laura Kellermann

Aufgrund des Schulregulativs für Neumünster von 1813 trat an die Stelle der bis dahin vorhandenen „Pfarrschule“ die öffentliche „Fleckensschule“. Der Schulbesuch begann mit dem 7. Lebensjahr und endete für Jungen nach sechs und für die Mädchen nach fünf Jahren. Sowohl in Bezug auf die Lerninhalte als auch auf die räumliche Unterbringung war dies ein sehr bescheidenes Schulangebot. Eine Neuregelung erfolgte 1868 mit der Einrichtung von Bürgerschulen, deren Lehrstoff jedoch bis zur Jahrhundertwende ebenfalls noch nicht ausreichte, um einen Zugang zur höheren Bildung zu erlangen.

Vor diesem Hintergrund entstanden sowohl für Jungen als auch für Mädchen Privatschulen, die von den Eltern der Schüler und Schülerinnen finanziert wurden. In Bezug auf die zeitliche Entstehung einer ersten privaten Mädchenschule gibt es nur spärliche und unterschiedliche Hinweise. Nach einer Quelle wurde die erste „Höhere Töchterschule“ 1847 von einem Fräulein Lüders gegründet. Die Leitung ging von ihr auf Ida Rewald, nachfolgend auf weitere Damen und schließlich 1865 auf die Schwestern Louise und Laura Kellermann über.

Eine andere Quelle geht davon aus, dass die Kellermann-Schwestern 1850 eine erste private Höhere Mädchenschule gründeten, die bis 1888 Bestand hatte.
Welche dieser Quellen zutrifft, konnte nicht abschließend geklärt werden, vieles spricht aber dafür, dass die Schultätigkeit 1865 begann. 

Louise und Laura waren Töchter des Königl. Dän. Justizrats und Amtsschreibers Peter Johan Wilhelm Kellermann (1778 – 1862) und seiner Frau Maria Magdalene, geborene Broager (1783 - 1857). Als die Eheleute um 1809 aus Dänemark nach Neumünster zogen, hatten sie bereits fünf Kinder, unter ihnen die ca. 1807 geborene Louise. Das erste in Neumünster geborene Kind wurde im September 1814 getauft, und in schneller Folge wuchs die Familie weiter. 1824 waren sie Eltern von zehn Kindern, einem Sohn und neun Töchtern; die 1821 getaufte Laura war das vorletzte Kind. Leider gibt es über die Kinder nur wenig Informationen in Bezug auf Lebensverlauf, Bildungserwerb und Tod.

Justizrat Kellermann kaufte 1814 das Anwesen Mühlenbrücke 9, das wir als „Westphalen-Haus“ kennen. Dieses jetzt unter Denkmalschutz stehende Gebäude wurde in handwerklicher Fachbauweise um 1770 errichtet und verfügt über eine für die damalige Zeit aufwendige Innengestaltung. Ob diese beim Erwerb des Hauses vorhanden war oder erst von Kellermann veranlasst wurde, ist nicht bekannt. Es war auf jeden Fall ein repräsentatives Haus, in dem die beiden Töchter für einige Zeit ihre Schülerinnen unterrichteten   

Die Mutter starb 74-jährig im Jahr 1857, der Vater 1862 im Alter von 84 Jahren.  Von den neun Töchtern waren zu diesem Zeitpunkt fünf verheiratet. Der einzige Sohn, Thomas, von Beruf Schiffsmakler, verstarb bereits 1845 und hinterließ drei Kinder.  

Ob alle vier der unverheirateten Töchter bis zum Tod der Eltern noch zu Hause wohnten, ist nicht bekannt. Es kann aber sicher davon ausgegangen werden, dass zumindest Louise und Laura mit den Eltern zusammenlebten. Bei dieser Familiensituation ist nicht wirklich vorstellbar, dass die Schwestern bereits ab 1850, also noch zu Lebzeiten der Eltern, in der Mühlenbrücke 9 eine von ihnen gegründete Schule unterhielten. Wahrscheinlicher dürfte sein, dass sie nach dem Tod des Vaters in der Übernahme der vorhandenen Töchterschule die finanzielle Möglichkeit sahen, den Besitz des Elternhauses an der Mühlenbrücke und ihren Lebensunterhalt abzusichern. Sie befanden sich zu dieser Zeit bereits im reifen Alter, Louise um 58 und Laura 44 Jahre alt.

Hinweise darauf, wie der Schulbetrieb bei ihnen eingerichtet war und der Unterricht inhaltlich gestaltet wurde, ließen sich leider nicht finden. Die Schule unterstand jedoch der Überwachung durch die jeweils amtierenden Pastoren.

Zuvor war 1858 im Haus Hinter der Kirche 8 eine zweite Privatschule für „höhere Töchter“ von den Schwestern Doris de Charles und Christiane de Charles gegründet worden. Was über diese Schule und ihre Gründerinnen heute noch in Erfahrung zu bringen ist, kann in dem Lebensbericht über sie nachgelesen werden.  Mit der Eröffnung des Schulbetriebs in der Mühlenbrücke 9 im Jahre 1865 befanden sich diese beiden Schulen für einige Jahre in direkter und wohl auch konkurrierender Nachbarschaft.

Aus welchen Gründen es 1871 zum Verkauf der Mühlenbrücke 9 kam, bleibt offen. Die Kellermann-Schule jedenfalls wurde in die Gasstraße verlegt. Im April 1876 bezog sie ein neu errichtetes Gebäude in der Fabrikstraße. Gleichzeitig ging nach elf Jahren die Leitung von Louise und Laura Kellermann auf den Rektor W. Schmidt über.

In der Erinnerung sollte bleiben, dass es tatkräftige und bildungsbewusste Frauen waren, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Gründung und Leitung von Privatschulen für ein über das öffentliche Schulwesen hinausgehendes höheres Bildungsangebot für Mädchen sorgten. Für die beiden Schwestern-Paare bot sich außerdem mit der Führung einer solchen Schule eine der wenigen Möglichkeiten zur Berufsausübung und zur eigenen finanziellen Absicherung.     

Die „Höheren Töchterschulen“ von 1847 und von 1858 hatten Bestand für rund 40 bzw. 30 Jahre. Zur Weiterentwicklung des höheren Schulwesens für Mädchen in Neumünster kann in der Lebensgeschichte über Bertha Rabe, der letzten Leiterin der Privatschule de Charles, nachgelesen werden. Unter ihrer Führung kam es 1888 zu einer Vereinigung der beiden Privatschulen; 1896 wurde das neu gebaute Schulgebäude in der Holstenstraße bezogen. 20 Jahre danach entstand hieraus ein öffentliches zehnklassiges Lyzeum, das sich zur heutigen Klaus-Groth-Schule in der Parkstraße weiterentwickelte.

Heide Winkler
März 2021

Quellennachweise

  1. Kirchenarchiv des Kirchenkreises Altholstein:
    a.    Auszüge aus dem Tauf- und Sterberegister die Familie Kellermann betreffend
    b.    Infos aus der dänischen Datenbank in Bezug auf Wohnorte, Anzahl Kinder
    c.    Vermerke hierzu
  2. „Neumünster, Stadt ältester Traditionen Holsteins“; Paul Sieck; 1966; Wachholtz Verlag; S. 83 ff. Aufbau der Schulen (hier auch Hinweis auf Amtsverwalter Justizrat Kellermann, S. 83) S. 88/89: Hinweis, dass die Schwestern Kellermann die Schule ab 1865 leiteten
  3. „Das Neumünster-Buch“; Hrsg. Irmtraut Engling; 1985; Wachholtz-Verlag; S. 133 ff. Zur Entstehung des öffentlichen Schulwesens
  4. „Kulturdenkmale in Schleswig-Holstein“, Band 3, Stadt Neumünster; Lutz Wilde und Gert Kaster; 2006; Wachholtz-Verlag; S. 240:  Haus Mühlenbrücke 9
  5. „Neumünster – Die Geschichte“; Dr. Rudolf Ullemeyer; 1963; Kurt Leuschner Verlag;
    - S. 56: 1850 = Private Höhere Mädchenschule gegründet/von den Geschwistern Kellermann (siehe auch S. 33/Ausgabe 1999)
    - S. 62: 1858 = De Charles-Mädchenschule gegründet (S. 35 Ausgabe 1999)
    - S. 68: 1888 = Klaus-Groth-Schule als private Höhere Mädchenschule gegründet aus Zusammenlegung der Schulen de Charles und Kellermann (S. 42   Ausgabe 1999)
  6. Zwei Postkarten/Abbildung der Schule an der Holstenstraße; von Dr. Heggen
  7. Postkarte Kellermann-Schule/Straßenansicht 1906 (heute Westphalen-Haus); Postkartensammlung C. Rathje; auch abgebildet im Neumünster-Album Bd. 1, Dr. Möller, 1989, Verlag Buchhandlung C. Rathje; S. 45
  8. Festschrift zur Einweihung der Anscharkirche zu Neumünster 1913; herausgegeben vom Kirchenvorstand:
    - S. 34: Anlässlich der Grundsteinlegung für die Vicelinkirche am 25. 08. 1829 wurden auch zwei Kupferplatten mit eingemauert. Auf einer dieser Platten sind mehrere Namen aufgeführt, u.a. Heinrich Peter de Charles, Compastor und Peter Wilhelm Kellermann, Königl. Dän. Justizrat und Amtsschreiber
    - S. 36:    Justizrat Kellermann berät sich am 10. 05. 1934 im Amtshaus mit anderen Personen in Bezug auf die Durchführung der Festlichkeiten bei der Einweihung der Kirche am 11. 05. 1834
    - S. 40: Justizrat Kellermann repräsentiert beim Einzug in die Kirche die Bau-Commission
    - S. 43: Abnahmeprotokoll über den Kirchenbau vom 01. 12. 1843; Teilnehmer     und     Unterzeichner u.a. Justizrat und Amtsschreiber Kellermann
  9. Diverse Zeitungsberichte:
    - HC 03./04. Juni 1978; Renovierung Mühlenbrücke 9
    - HC 14. April 2001; Marianne Dwars: Das Westphalen-Haus an der Mühlenbrücke: Die bewegte Geschichte eines alten Gebäudes; hier u.a. Hinweis auf Dr. Ullemeyers Theorie, dass das Haus von Kellermann aufgestockt wurde
    - Prima-Sonntag 08. Juli 2001; Traumhaus ein Albtraum?
    - HC 17. Oktober 2003; Marianne Dwars: Beitrag zum leerstehenden Westphalen-Haus
    - Prima-Sonntag Februar 2012; Das Westphalen-Haus, eines der ältesten Häuser in Neumünster (hier Hinweis auf bauliche Entstehung als zweistöckiges Haus)